Ethernet-APL: „Umstieg hat höchste Priorität“

Mit Ethernet-APL steht ein neuer Standard für durchgängige Ethernet-Kommunikation bis zum Feldgerät zur Verfügung. Erfahren Sie mehr über den Stellenwert und die Umsetzung von Ethernet-APL von unserem Experten André Fritsch, Senior Product Manager Remote I/O & Fieldbus.

1. Für Anwender und Betreiber eröffnet Ethernet-APL Möglichkeiten für neue Strukturen beim Aufbau leistungsfähiger Automatisierungsnetze. Wie sind Ihre Beobachtungen: Welchen Stellenwert hat das Thema in der Prozessindustrie?

André Fritsch: Durchwachsen. Während auf der einen Seite ein sehr großes Interesse zu beobachten ist, sieht man auch viele Unternehmen, die sich noch etwas gegen Ethernet im Feld sträuben oder zumindest skeptisch sind. Das ist nicht überraschend. Speziell in der Prozessindustrie wird oder wurde mit Innovationen immer konservativ umgegangen: „Warten wir lieber mal, bis es ein anderer ausprobiert hat“. Ob das aber die richtige Strategie in einer zunehmend schnelllebigen und globaleren Welt ist, ist fraglich. Das gilt übrigens nicht nur für die Anlagenbetreiber, sondern genauso für Hersteller und Planungsunternehmen, die erst mal beobachten wollen – da wird man dann schnell den Anschluss verpassen.

Die Vorteile von Ethernet im Feld gegenüber anderen Lösungen wie klassische 4…20 mA Technik oder die Feldbusse FF H1 und PROFIBUS PA sind überzeugend. Oder provokativ formuliert: Ohne den Einsatz von Ethernet-APL wird es keine durchgängige Digitalisierung von Prozessanlagen geben. Natürlich gibt es auch bei Ethernet-APL noch Diskussionspunkte: wie gestalte ich mein Security Konzept, was mache ich mit Safety-Anwendungen, wer liefert entsprechende Geräte, wie schule ich mein Personal usw. An all diesen Themen wird aktuell gearbeitet und in absehbarer Zeit werden Lösungen präsentiert. Daher meine Empfehlung: jetzt auf den digitalen Schnellzug aufspringen – die alte Dampflok ist nett, aber ein Auslaufmodell.

2. Wie gestaltet sich die Umsetzung von Ethernet-APL für Anwender so einfach wie möglich?

André Fritsch: Hier ist zu unterscheiden, ob es um eine Neuanlage oder eine Modernisierung geht. Und bei Modernisierung natürlich auch, wo komme ich her und gibt es schon Erfahrungen mit digitalen Lösungen wie Feldbussen oder Remote I/O. Für die Planung spielt auch die vorhandene Infrastruktur und die räumliche Entfernung eine Rolle. Plane ich eine räumlich begrenzte Pharmaanlage und habe einen durchgängigen Ethernet-Backbone, dann kann ich mit der einfachen, Ethernet-üblichen Sterntopologie arbeiten. Möchte ich ein Tanklager durchgängig mit Ethernet-APL ausstatten, dann macht entweder ein LWL-Backbone oder die Trunk-Spur Topologie mehr Sinn. Da kann ich dann auch 1000 m oder mehr überbrücken. Beim Explosionsschutz macht uns Ethernet-APL das Leben relativ leicht, es gibt Lösungen für Feldgeräte bis in die Zone 0 und auch die Field Switches lassen sich in Zone 2 und Zone 1 installieren.

Bei einer Modernisierung steht aber auch die Frage nach der Weiterverwendung der existierenden Kabel im Raum. Ethernet-APL wurde speziell zur Verwendung mit den sogenannten Feldbus Typ A Kabeln entwickelt, wie sie bei FF H1 und PROFIBUS PA zum Einsatz kommen. D.h. bei Verwendung dieses Kabeltyps kann ich Ethernet-APL über die vollen 1000 m nutzen – zumindest auf dem Papier. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich die in der Praxis eingesetzten Kabel häufig nicht an diese Spezifikation halten oder einfach zu alt sind. Auch die Weiterverwendung der 4…20 mA Verkabelung ist mit Einschränkungen bei den maximalen Entfernungen grundsätzlich möglich. Nichts desto trotz sollten hier im Sinne der Anlagenverfügbarkeit die Kabel sorgfältig geprüft werden – letztendlich reden wir über 10 MBit/s anstatt 31,25 kBit/s wie beim Feldbus.

3. Was sind Ihrer Meinung nach die nächsten Schritte, damit die Prozessindustrie vollumfänglich von den Vorteilen profitiert?

André Fritsch: Hier sind an mehreren Stellen noch Hausaufgaben zu machen. Auf der einen Seite müssen die Feldgerätehersteller dafür sorgen, dass alle relevanten Funktionen auch mit Ethernet-APL zur Verfügung stehen. Das ist natürlich ein großes Arbeitspaket, aber dringend nötig. Ohne Geräte, keine Ethernet-APL Installation. Bei den Infrastrukturkomponenten, den Field Switches, sieht das schon ganz gut aus. Es gibt einige Hersteller, die bereits Geräte verfügbar oder kurz vor dem Release haben. Seitens der Leitsysteme ist vor allem die Unterstützung der von den Anwendern favorisierten Protokolle erforderlich, die NAMUR fordert hier in der NE168 PROFINET und EtherNet/IP als Minimum. Speziell bei PROFINET läuft aber auch noch nicht alles rund, zumal PROFINET von Grund auf für 100 MBit/s spezifiziert wurde – die erforderlichen Anpassungen für Ethernet-APL mit 10 MBit/s sind aber schon auf den Weg gebracht.

Und dann bleibt letztendlich der Endanwender, der sich zusammen mit seinen Planungsfirmen mit dem Thema Ethernet aktiv beschäftigen muss. Dazu gehört u.a. die Schulung der Mitarbeiter. Dies wurde damals bei Feldbus häufig „vergessen“ – „wird irgendwie laufen“, war die Meinung – lief aber irgendwie doch nicht. Bei Ethernet-APL besteht allerdings ein Vorteil darin, dass die meisten Unternehmen die grundlegende Expertise bereits im Haus haben: die IT-Abteilungen arbeiten bereits jahrelang mit Ethernet-Netzwerken. Hier muss dann „nur“ noch der entsprechende Link zur OT und zur Prozessautomatisierung geknüpft werden – was zugegebenermaßen auch kein Selbstläufer sein wird.

Ganz wichtig: es geht hier nicht nur darum, ein Ethernet-Kabel in den Ex-Bereich zu legen – das Thema Ethernet im Feld wird nur dann ein Erfolg, wenn auch die Prozesse dahinter „digital“ sind und NOA, Life Cycle Management oder MTP keine „Buzzwords“ bleiben.

4. Welche Sicherheitsvorkehrungen sind erforderlich, um die Ethernet-APL-Netzwerke vor Cyberangriffen zu schützen?

André Fritsch: Cyber Security ist ein wichtiges Thema, zunächst mal ganz unabhängig von Ethernet-APL. Und Ethernet-APL alleine kann auch keine Lösung dafür bieten. Durch den Einsatz von Ethernet bis ins Feld ist auch der Zugang zu Feldgeräten und damit auch für potenzielle Manipulationen einfacher geworden. Alleine deshalb aber auf Ethernet im Feld zu verzichten, kann auch nicht die Lösung sein. Mit dieser Argumentation würden wir heute noch mit der Schreibmaschine unsere Firmenkorrespondenz machen. Ein funktionierendes Security-Konzept besteht aus zwei Grundkomponenten, dem Security Management System und der Security-Kultur. Darauf setzen dann technische und organisatorische Maßnahmen auf. Und hier kann Ethernet-APL sogar Vorteile bieten. So lassen sich z.B. Security Patches über das Netzwerk an alle Geräte automatisiert ausrollen. Oder über im Hintergrund laufende Monitoring Prozesse weisen automatisch auf Security Probleme hin. Natürlich haben wir in unseren Field Switches entsprechende Passwort-Level mit unterschiedlichen Benutzerrollen implementiert und die Konfiguration und Parametrierung kann nicht am Field Switch selber erfolgen, sondern ausschließlich über das übergeordnete Engineering- oder Leitsystem. Also eine read-only Verbindung bzw. als NOA-Diode. Das muss aber alles in Sicherheitskonzepte wie z.B. Defense In Depth oder Zero Trust eingebunden werden.

5. Wie wird sich Ethernet-APL in Zukunft weiterentwickeln? Welche Innovationen sind noch zu erwarten?

André Fritsch: Bei der Konzeption von Ethernet-APL haben wir sehr weitreichende Anforderungen definiert und versucht, auch in die Zukunft zu denken. Aus Zeit- und Ressourcengründen mussten wir einige Themen zunächst aus den Spezifikationsarbeiten rausnehmen und für später aufbewahren. Ansonsten wären wir vermutlich noch immer nicht fertig mit Ethernet-APL. Die Weiterentwicklung liegt inzwischen in den Händen der Technologieorganisationen, FieldComm Group, ODVA, OPC Foundation und PROFIBUS+PROFINET International, die wiederum Zugang zu Herstellern und Endanwendern haben. Da wird es sicher zu vielen Anforderungen und Wünschen kommen – mal sehen, wie viele wir davon schon vorhergesehen haben, die bereits im Ideenspeicher liegen.

Aber wir haben auch mit der vorhandenen Spezifikation noch einiges zu tun. Derzeit fehlen z.B. noch Field Switches zur Installation in der Zone 1 – da werden wir zum Ende des Jahres Produkte vorstellen. Auch das Safety-Thema kommt langsam in Fahrt. Die Field Switches können bereits für Safety Anwendungen verwendet werden, aber entsprechende Feldgeräte und Safety-Systeme sind noch Mangelware. Die größte Innovation verspreche ich mir aber von der ersten „echten“ Ethernet-APL-Anlage – da bin ich wirklich gespannt drauf.

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