Wasserstoff wird im Rahmen der Energiewende eine große Rolle spielen. Als Energiespeicher puffert er Strom, der beispielsweise durch Wind- und Solarenergie erzeugt wurde. Doch schon lange, bevor die Klimakrise zum Umdenken zwang, war Wasserstoff ein wichtiges Industriegas. Durch seine Bedeutung als grüner Energieträger kommt nun Bewegung in den Markt, der durch zahlreiche neue Technologien zusätzlich getriggert wird.
Wasserstoff kann durch Elektrolyse von Wasser erzeugt und in Brennstoffzellen wieder zu Wasser umgesetzt werden. Dabei entsteht Strom. Dieser Kreislauf ist es, der ihn als Speichermedium für überschüssige elektrische Energie so wertvoll macht. „Grün“, also klimaneutral ist er dann, wenn zu seiner Erzeugung Strom aus erneuerbaren Energiequellen, etwa aus Wind- oder Solarenergie, erzeugt wird. Mit ausgereiften Elektrolyseuren wird die Umwandlung der grünen Energie zu Wasserstoff mit einer Effizienz von rund 70 Prozent zu bewerkstelligen sein, so die Prognose für die nahe Zukunft.
Enabler der Dekarbonisierung
Schon heute werden jährlich viele Millionen Tonnen Wasserstoff erzeugt und zum größten Teil in der chemischen Industrie verbraucht. Rund 117 Mio. Tonnen waren es 2019. Der größte Teil davon, nämlich 69 Mio. Tonnen, entstanden durch Dampfreformierung von Erdgas, also durch die Umsetzung von Methan und Wasser bei hohem Druck und hoher Temperatur. Dieses Verfahren ist bislang das kostengünstigste. Weitere 48 Mio. Tonnen wurden als Nebenprodukt in der chemischen Industrie erzeugt. Dort und in Raffinerien finden sich derzeit auch die größten Verbraucher von Wasserstoff. Große Hersteller von Industriegasen wie Linde und Air Liquide dominieren den Markt. Diese sehen die Notwendigkeit für einen Umstieg. So spricht etwa Linde von „Wasserstoff als Schlüsselfaktor für den Übergang zu kohlenstoffarmer und kohlenstofffreier Energie – sauberer Energie, um die Ziele des Klimawandels zu erreichen.“
Bessere Infrastruktur, neue H2-Verbraucher
Es steht außer Frage: Aus der zunehmenden Erzeugung von grünem Wasserstoff, die dezentral an großen Solarfeldern oder Windparks geschehen kann, erwächst Konkurrenz für die etablierten Industriegas-Konzerne. Andererseits profitieren diese von einer zum Teil über 100jährigen Erfahrung mit dem Umgang mit Wasserstoff. Gerade in der Übergangsphase bis zur Abdeckung des Bedarfs mit grünem Wasserstoff werden sie von einer im Ausbau begriffenen Infrastruktur und vom wachsenden Nachfragemarkt profitieren. Dieser wird zunächst weiterhin durch grauen (aus Erdgas) oder blauen (ebenfalls aus Erdgas plus CO2-Abscheidung) Wasserstoff abgedeckt werden. Parallel zur Optimierung der Technologien zur Erzeugung grünen Wasserstoffs wird die Infrastruktur für seine Verteilung ausgebaut. Zudem entstehen neue Abnehmer, etwa im Verkehrssektor (z. B. Wasserstoff-betriebene Züge, Herstellung synthetischer Kraftstoffe) und in diversen Industrien. So kann etwa Wasserstoff in der Stahlindustrie Kohle als Reduktionsmittel ersetzen. Wasserstoff kann die Brennöfen in der Glas- und Zementindustrie beheizen. Und man benötigt ihn, um CO2-Abgase zu Dünger umzusetzen.
Moderates Wachstum bis 2030, dann Beschleunigung
Bis zum Jahr 2030 kann laut der Fuel Cells and Hydrogen Joint Undertaking der Europäischen Kommission ein Marktvolumen von weltweit rund 150 Mrd. Euro geschaffen werden. Diverse Studien weisen eine recht unterschiedliche Entwicklung des Wasserstoffbedarfs nach Sektor aus. Für Deutschland geht eine Metastudie im Auftrag des deutschen Nationalen Wasserstoffrats davon aus, dass der Bedarf von Wasserstoff 2030 bei 47 TWh, 2040 bei bis zu 176 TWh und 2050 bei bis zu 316 TWh liegen könnte. Hinzu kommen Syntheseprodukte, die mithilfe von Wasserstoff entstehen. Laut derselben Metastudie wird bis 2050 insbesondere im Verkehrssektor EU-weit die Nachfrage nach Wasserstoff deutlich steigen (Anhang A.2.4.). Der Effekt ist umso deutlicher, wenn man als Ziel eine THG-Minderung um 100 Prozent zugrunde legt. Dann wird der Anteil der Verkehrsnachfrage den meisten Studien zufolge um die 20 Prozent liegen, was knapp 500 TWh entspricht. Auch die Syntheseproduktnachfrage (z. B. synthetische Kraftstoffe) gibt die Studie mit 20 Prozent an.
Nahezu in der gesamten westlichen Welt besteht Einigkeit, dass Wasserstoff eine große Bedeutung haben wird. Auch ein Working Paper des World Energy Councils (in Zusammenarbeit mit EPRI und PwC) prognostiziert ein Nachfragewachstum, bis 2030 in einem moderaten, stetigen Tempo. Danach wird sich das Nachfragewachstum deutlich beschleunigen. Bis 2050 rechnen die Wissenschaftler mit einer Nachfrage zwischen 150 und 500 Mio. Tonnen pro Jahr.
Sonne und Wind indirekt importiert
Dies sind grobe und weit differierende Schätzungen. Egal, wie groß der Wasserstoff-Bedarf künftig tatsächlich sein wird: Weite Teile Europas werden auf Importe aus dem Ausland angewiesen sein. In anderen Regionen der Welt scheint nun einmal die Sonne viel stärker und länger und der Wind weht kräftiger. Entsprechend arbeiten derzeit europäische Partner mit Partnern in Ländern mit einem hohen Potenzial an regenerativer Energie zusammen. Sie haben primär das Ziel, Wasserstofftechnologien zu fördern. Vom entstehenden Wasserstoff sollen dann auch die EU-Partner profitieren. Eine Wasserstoff-Partnerschaft besteht zum Beispiel zwischen Australien und Deutschland. Im Rahmen der Machbarkeitsstudie HySupply wird untersucht, wie in Australien produzierter grüner Wasserstoff nach Deutschland transportiert werden kann. Auch Kanada bietet sich als H2-Exportland an. Seit Oktober 2022 laufen vier Verbundprojekte, gefördert von Kanada und Deutschland, die sich u. a. mit der Kostenminimierung bei der Wasserstoffproduktion beschäftigen. Flankiert wird dies von einem Wasserstoffabkommen zwischen beiden Ländern, in dessen Rahmen eine transatlantische Lieferkette für Grünen Wasserstoff aufgebaut werden soll. Bereits ab 2025 sollen erste Lieferungen aus Kanada nach Deutschland erfolgen.
Naheliegend, aber auch herausfordernd ist die Förderung der Wasserstofferzeugung in Afrika. Flächen und natürliche Energie im Form von Sonne und Wind stehen zu Genüge zu Verfügung. Dies wird beispielsweise im H2Atlas für die Subsahara-Region und Westafrika dargestellt. Rein rechnerisch ließen sich allein in Westafrika jährlich bis zu 165.000 TWh grüner Wasserstoff herstellen und das zu einem günstigen Preis von unter 2,50 Euro pro Kilogramm. Doch die Bedingungen zur Erzeugung von Wasserstoff sind meist schwierig. Ein wichtiges Thema ist Frischwasser, das für die Elektrolyse derzeit noch benötigt wird. Meerwasserentsalzung ist schon heute möglich. Im Wasserstoff-Leitprojekt H2Mare wird zudem eine Technologie entwickelt, mit der Wasserstoff direkt aus Meerwasser erzeugt werden kann. Damit könnte künftig Wasserstoff direkt bei Offshore-Windenergieanlagen produziert werden.
Bei der Errichtung von Elektrolyseanlagen und der weiteren Infrastruktur zur Förderung von Wasserstoff in Afrika, darf es zudem keine Kompromisse in Sachen Sicherheit geben. Wasserstoff ist brennbar; er ist in Explosionsgruppe IIC eingestuft. Etwaige Explosionen hätten eine verheerende Wirkung und müssen unbedingt vermieden werden. Der Explosionsschutz wird international über die Normenreihen IEC 60079 und IEC 80079 geregelt. Wie Elektrolyseanlagen sicher zu gestalten sind, beschreibt der internationale Standard ISO 22734. Diese Normen und Standards sind selbstverständlich auch in afrikanischen Ländern umzusetzen sowie an dezentralen Standorten, an denen die Elektrolyse in Zukunft in unmittelbarer Nähe zu Solarfeldern oder Windparks durchgeführt wird.
Künstliche Photosynthese im Kommen
Einen noch futuristischeren Ansatz verfolgen weltweite Bestrebungen, grünen Wasserstoff unmittelbar neben Solarmodulen zu erzeugen – und zwar ohne Umweg über die Umwandlung der Sonnenenergie in Strom. Dazu benötigt man Solarmodule, die eine Spannung von über 1,6 Volt erzeugen. H2Demo arbeitet derzeit daran, einen Demonstrator zur direkten solaren Wasserspaltung zu entwickeln. Das laufende Projekt, koordiniert von Fraunhofer ISE, schließt 2026 ab. Bis dahin sollen Module mit einer Größe von mindestens 1300 cm2 und einer Umwandlungseffizienz über 15 Prozent entstehen. Ab dieser Kennmarke könnte der so erzeugte Wasserstoff bereits wirtschaftlich konkurrenzfähig zu fossilen Energieträgern werden. Die Zwischenergebnisse sind vielversprechend. Viele weitere Wissenschaftsstandorte weltweit forschen seit Jahren an der „künstlichen Photosynthese“, die auf Basis von Tandemsolarzellen aus III-V-Halbleitern basiert. Bis zur großtechnischen Anwendung werden aber wohl noch etliche Jahre vergehen.
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