Ethernet-APL: Eine Revolution mit Lerneffekten aus der Vergangenheit
Feldbusse haben in der Prozessindustrie bis heute ein Akzeptanzproblem. Vor allem die Komplexität bei Installation und Wartung wurde bei der Einführung in den 90er Jahren unterschätzt. Die Entwickler von Ethernet-APL haben daraus viele Lehren gezogen – und eine Technologie geschaffen, die sich anschickt, der Digitalisierung der Feldebene zum Durchbruch zu verhelfen.
In den 90er Jahren wurde die Einführung von Feldbussen wie Profibus und Foundation Fieldbus in der Prozessindustrie als revolutionärer Fortschritt gefeiert. Diese digitalen Kommunikationsprotokolle sollten die Automatisierung vorantreiben und die analoge Signalübertragung ablösen. Doch die Begeisterung verflog schnell, weil sich die versprochenen Vorteile in der Praxis nicht wie erhofft einstellten. Denn die Protagonisten unterschätzten die technische Komplexität – die Akzeptanz bei den Anwendern blieb auch deshalb überschaubar. Heute steht die Industrie mit Ethernet-APL an einem neuen technologischen Wendepunkt, doch diesmal sollen die Fehler von damals nicht wiederholt werden. Die damaligen Feldbustechnologien boten zwar beeindruckende Möglichkeiten, scheiterten aber in mehreren entscheidenden Bereichen:
Fehler 1: Komplexität bei Installation und Wartung
Die Anfänge der Feldbustechnik in der Prozessindustrie waren geprägt von einem ganzen Zoo konkurrierender Systeme: Profibus in seinen Ausprägungen DP und PA, Foundation Fieldbus, aber auch Modbus, Interbus oder World FIP versprachen, den Verkabelungsaufwand durch den Einsatz eines einzigen Busses zu reduzieren. Die Realität war jedoch weitaus komplizierter. Die Vielfalt sorgte für Verwirrung und Kompatibilitätsprobleme – und die Zersplitterung des Marktes machte die Sache nicht einfacher. Zudem zeigte sich in der Praxis, dass der Planungs- und Installationsaufwand von Planern und Betreibern oft massiv unterschätzt wurde. Für eine fehlerfreie Installation mussten die Techniker ein tiefes technisches Verständnis für die neuen Systeme entwickeln. Zudem führte die mangelhafte Dokumentation der Verkabelung häufig zu Problemen bei der Fehlersuche und Wartung.
Fehler 2: Hoher Schulungsaufwand und fehlendes Wissen
Feldbussysteme erforderten Spezialwissen, das in vielen Unternehmen und Anlagen nicht vorhanden war. Während nahezu jeder nach kurzer Zeit in der Lage war, die seit langem etablierte analoge 4...20 mA-Technik zu bedienen, entzog sich die digitale Feldbustechnik einem intuitiven Umgang. Der Schulungsaufwand für die Mitarbeiter war enorm und viele waren mit der neuen Technik überfordert. Dadurch kam es häufig zu Fehlern bei der Bedienung und Wartung der Anlagen, was die Akzeptanz der Technik weiter schmälerte.
Fehler 3: Mangelnde Flexibilität
Ein weiteres Problem war die starre Architektur der Feldbusse. Eine Erweiterung oder Anpassung der Systeme war oft aufwendig und teuer, was viele Unternehmen davon abhielt, in diese Technologie zu investieren. Gerade in einer Zeit, in der Flexibilität und Skalierbarkeit immer wichtiger werden, waren diese Einschränkungen ein deutlicher Nachteil.
Fehler 4: Unzureichende Diagnosemöglichkeiten
Obwohl Feldbusse theoretisch erweiterte Diagnosemöglichkeiten boten, war der Zugriff auf diese Informationen oft kompliziert. Die Benutzer mussten spezielle Werkzeuge und Software verwenden, um Fehler zu lokalisieren, was die Reaktionszeit auf Störungen verlängerte und den Betrieb unnötig verzögerte. Darüber hinaus waren Diagnosen meist reaktiv, was bedeutete, dass Probleme erst erkannt wurden, wenn sie bereits kritisch waren.
Fehler 5: Mangelnde Standardisierung
Der Wettbewerb zwischen verschiedenen Feldbusprotokollen führte zu Unsicherheit in der Industrie. Es fehlte eine einheitliche Standardisierung, die es den Unternehmen ermöglicht hätte, sich auf ein System zu einigen. Dies hemmte die Verbreitung der Feldbustechnologie zusätzlich.
ETHERNET-APL: LEHREN GEZOGEN, ZUKUNFT GESICHERT
Mit Ethernet-APL (Advanced Physical Layer) steht eine neue Technologie in den Startlöchern, die all diese Fehler vermeiden soll. Die Entwicklung von Ethernet-APL basiert auf den Lehren aus dem Scheitern der Feldbustechnologien und hat das Potenzial, die Prozessindustrie nachhaltig zu verändern.
Vorteil 1: Einfachere Installation und größere Reichweite
Ethernet-APL ist eine international standardisierte 2-Draht-Lösung, die auf dem IEEE-802.3-Standard 10BASE-T1L basiert. Das heißt, es baut auf einer bekannten und bewährten Technologie auf, die es ermöglicht, Feldgeräte bis zu einer Entfernung von 1000 Metern zu verbinden. Gleichzeitig versorgt es diese Geräte mit Energie – eine wesentliche Erleichterung insbesondere für weitläufige Anlagen in der Prozessindustrie. Dabei können die bisher verwendeten Typ-A-Kabel der Feldbusinstallationen weiterverwendet werden. Das minimiert den Aufwand für bestehende Anlagen erheblich und macht den Umstieg auf Ethernet-APL besonders attraktiv.
Vorteil 2: Minimierter Schulungsaufwand
Ein wesentlicher Vorteil von Ethernet-APL ist die Reduktion des Schulungsaufwands. Da die Technologie auf Ethernet basiert – einer weitverbreiteten und bekannten Technologie – ist das Verständnis für die Netzwerktechnik bereits vorhanden. Dies erleichtert die Schulung und den Einsatz von Ethernet-APL erheblich.
Vorteil 3: Flexibilität durch unterschiedliche Netztopologien
Stern- oder Trunk-Topologie
Ethernet-APL ermöglicht den Aufbau von Netzwerken in zwei Varianten: In der für Ethernet typischen Sterntopologie oder in der Trunk-Spur-Topologie. Diese Flexibilität ermöglicht die Anpassung der Netzwerkinfrastruktur an die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Anlage. Besonders in weitläufigen Anlagen spielt die Trunk-Spur-Topologie ihre Vorteile aus, da sie Reichweiten von bis zu 1000 Metern ermöglicht. Beide Varianten verwenden Switches – im zweiten Fall einen Power Switch, der das 4-Draht-Netzwerk in ein 2-Draht-Netzwerk umwandelt und das Ethernet APL-Netzwerk über die Trunk-Leitung speist. Beide Optionen nutzen zusätzlich einen Field Switch, der bis in Zone 1 installiert werden kann und die angeschlossenen Feldgeräte eigensicher mit Energie versorgt.
Ex-i-Nachweis vereinfacht
Da bei Ethernet-APL jedes Feldgerät mit einem definierten Kabel verbunden ist, lässt sich der in Prozessanlagen geforderte Ex-i-Nachweis auf Basis der neu geschaffenen IEC TS 60079-47 (2-WISE, 2-Wire Intrinsically Safe Ethernet) wesentlich einfacher durchführen. Außerdem können vorhandene Feldbusgeräte mit Eigensicherheit nach FISCO (IEC 60079-11) weiterverwendet werden, wenn z. B. die verwendeten Feldswitches über einen PA-Proxy zum Anschluss von PROFIBUS PA-Geräten verfügen.
Bewährtes weiter nutzen: Kombination mit Remote I/O
Eine interessante Möglichkeit besteht darin, bestehende Installationen mit Ethernet-APL zu ergänzen: Einfache E/A-Signale, für die es keine APL-Schnittstelle gibt, können weiterhin genutzt werden. Ein Ethernet-fähiges Remote-I/O-System ermöglicht den Anschluss vorhandener 4…20 mA-Feldgeräte, auch mit HART, oder Kontakte und Ventile an das selbe digitale Ethernet-Netzwerk in dem die Field Switches installiert sind.
Safety über Ethernet-APL
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zu klassischen Prozess-Feldbussystemen ist die Berücksichtigung der funktionalen Sicherheit: Ethernet-APL unterstützt als Physical Layer sichere Protokolle wie PROFIsafe oder CIP safety. Dadurch können sichere (SIL) und nicht sichere Topologien identisch aufgebaut und sogar gemischt werden. Voraussetzung sind entsprechende Feldgeräte und Automatisierungssysteme. Die Ethernet-APL Field Switches arbeiten als grauer Kanal, d.h. sie können für Safety und nicht-Safety gleichermaßen verwendet werden.
Vorteil 4: Erweiterte Diagnosemöglichkeiten
Ein herausragendes Merkmal von Ethernet-APL ist die Möglichkeit der erweiterten Diagnose. APL-Switches ermöglichen die Überwachung des Netzwerks und der angeschlossenen Geräte in Echtzeit sowohl auf Kommunikationsprobleme als auch Physical Layer Fehler. Fehlfunktionen oder Abweichungen aufgrund alternder Netzwerkkabel oder Kabelbrüche können so sofort erkannt werden und Wartungsteams können gezielt eingreifen, bevor es zu Ausfällen kommt. Die Anzeige von Diagnoseinformationen am Switch vor Ort erhöht die Akzeptanz beim Anlagenpersonal erheblich.
Vorteil 5: Einheitliche Standards und Interoperabilität
Ethernet-APL wurde von Anfang an als offene und interoperable Lösung entwickelt. Im Gegensatz zu den Feldbusprotokollen der 90er Jahre ist die Entwicklung von Ethernet-APL eine Gemeinschaftsleistung, an der die führenden Leitsystem-, Feldgeräte- und Infrastrukturhersteller mitgewirkt haben. Die wichtigsten Technologieunternehmen FCG, ODVA, OPC Foundation und PI haben die Entwicklung unterstützt und sind heute verantwortlich für die Vermarktung und -weiterentwicklung.
FAZIT: ETHERNET-APL – EINE LÖSUNG MIT ZUKUNFT
Die Einführung von Ethernet-APL stellt den nächsten großen Schritt in der Digitalisierung der Prozessindustrie dar. Durch die Nutzung einer bewährten Technologie wie Ethernet in Kombination mit den Anforderungen der Prozessautomatisierung schafft Ethernet-APL eine einfache, zuverlässige und zukunftssichere Lösung. Fehler, die bei der Einführung von Feldbussen gemacht wurden – wie aufwändige Installation, mangelnde Flexibilität und unzureichende Diagnosemöglichkeiten – wurden bei der Entwicklung von Ethernet-APL bewusst vermieden. Ethernet-APL hebt die Prozessautomatisierung durch die Digitalisierung der Feldebene auf ein neues Niveau.
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