R. STAHL und Softing Industrial Automation wollen gemeinsam in einer Technologiepartnerschaft die Entwicklung von Ethernet-APL-Lösungen sowohl im Explosionsschutz als auch bei der Kommunikationstechnik vorantreiben. Über Hintergründe, Ziele und die Technologie informieren André Fritsch, Senior Product Manager Remote I/O & Fieldbus bei R. STAHL, und Thomas Rummel, Senior Vice President Engineering & Product Management bei Softing, im Interview.
Herr Fritsch, R. STAHL hat als eins von zwölf Unternehmen im Ethernet-APL-Projekt die Grundlagen für Ethernet im Ex-Bereich erarbeitet. Bitte erläutern Sie noch einmal Details und Vorteile der Zwei-Draht-Ethernet-Technologie für die Prozessindustrie.
André Fritsch: Die Forderung der Anwender nach digitaler Kommunikation bis in die Feldebene ist nichts Neues und es gibt und gab ja auch bereits diverse Lösungsansätze dafür. Aber genau da liegen die Probleme der Anwender. Die verfügbaren Lösungen sind vielfältig, untereinander nicht kompatibel, proprietär und vor allem zumeist nicht für moderne Digitalisierungskonzepte geeignet. Daher der Ruf nach einem „Ethernet in the field“ – und die passende Antwort darauf mit Ethernet-APL.
Ethernet-Advanced Physical Layer (APL) ist die Schlüsseltechnologie, um bis in die Feldebene zu digitalisieren. Dabei setzt Ethernet-APL auf globale, offene Standards der IEEE und der IEC, wie eben auf die 2-Draht Lösung mit 10 MBit/s und Eignung für Entfernungen bis 1000 m – standardisiert als 10BASE-T1L.
Für die speziellen Anforderungen der Prozessindustrie hat darauf aufbauend das Ethernet-APL Team Ergänzungen wie beispielsweise die eigensichere Anbindung und Speisung von Feldgeräten entwickelt. Somit kann der Anwender die weltweit verbreitete und industrieübergreifend eingesetzte Ethernet Technologie auch in seinen prozesstechnischen Anlagen einsetzen.
Die im Projektteam mitarbeitenden Unternehmen haben zur Achema Pulse erste Lösungen präsentiert. Bitte geben Sie einen allgemeinen aktuellen Status zu den Entwicklungen rund um Ethernet-APL.
André Fritsch: Die Ethernet-APL Arbeitsgruppe hatte sich bei ihrer Gründung einen ehrgeizigen Zeitplan gesetzt, um auf der Achema 2021 Produkte präsentieren zu können. Um diesen umzusetzen, wurden die erforderlichen Arbeiten parallelisiert. In der Port Profile Gruppe sind die elektrischen Parameter bzgl. Speisung und Kommunikationspegel der Ethernet-APL Ports definiert. Hier liegt die Release Version 1.0 vor, mit der Hersteller in die Entwicklung von Geräten einsteigen können. Gleiches gilt hinsichtlich der Anforderungen für die EMV-Prüfungen. Seitens der Elektronikhersteller konnten dann die erforderlichen neuen Physical Layer Chips zeitnah für die Entwickler zur Verfügung gestellt werden. Die dazugehörigen Conformance Tests sind kurz vor der Fertigstellung, so dass Geräte prüfbar sind. Hierfür werden wir beispielsweise unsere Ethernet-APL Field Switches in Kürze bereitstellen.
Um Zusammenschaltungen eigensicherer Ethernet-APL Stromkreise so einfach wie nur möglich zu machen, haben wir auf IEC-Ebene in Rekordzeit die IEC TS 60079-47 „Equipment protection by 2-wire intrinsically safe ethernet concept (2-WISE)“ erarbeitet und im März 2021 herausgebracht. Und um die neue Technik auch korrekt in den Anlagen einzusetzen, ist ein Engineering Guide verfügbar, der die Topologien, den Explosionsschutz und die Planung für den Anwender beschreibt. Das heißt: die technischen Grundlagen sind verfügbar und die Hersteller sind derzeit am Umsetzen und vor allem am Testen, Testen, Testen.
Herr Rummel, industrielle Kommunikation bzw. standardisierter Datenaustausch gehören zu den Kernkompetenzen von Softing. Wie lautet Ihre Einschätzung zu Ethernet-APL?
Thomas Rummel: Ethernet-APL wird die industrielle Kommunikation in der Prozessindustrie revolutionieren. Es erfüllt die Installations- und Sicherheitsanforderungen der Prozessindustrie und bietet mit 10 Mbit/s eine gute Bandbreite, welche deutlich höher ist als alle Technologien, die bisher zur Verfügung standen. Durch die Unterstützung von Ethernet können nun alle Ethernet-basierten Kommunikationsprotokolle der Controller- und Industrial Edge Ebene bis in die Feldgeräte Ebene genutzt werden. Dies erlaubt dann auch die direkte Umsetzung von offenen Architekturkonzepten wie der NAMUR Open Architecture.
Mitte Juni haben Sie Ihre Zusammenarbeit rund um das Thema Ethernet-APL angekündigt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit, welche gemeinsamen Pläne verfolgen Sie und wie profitiert der Kunde davon?
Thomas Rummel: R. STAHL ist schon seit Jahren ein Partner von uns im Bereich der Feldbus Infrastrukturkomponenten für die Prozessindustrie und ein guter Kunde unserer FPGA-basierten Kommunikationslösungen. Auf dieser Basis kamen wir schnell zum Entschluss, unsere Kräfte für die Entwicklung einer gemeinsamen Ethernet-APL Switch Produktlinie zu bündeln. Softing Industrial bringt seine Erfahrung mit industriellen Switches und Kommunikationslösungen ein und R. STAHL seine Expertise im Explosionsschutz und in der Stromversorgung von Feldgeräten.
André Fritsch: Beide Unternehmen, Softing und R. STAHL, arbeiten sehr kundenorientiert. Vermutlich funktioniert unsere Zusammenarbeit auch deshalb so gut. Jedes Unternehmen hat Stärken und Schwächen und falscher Ehrgeiz, alles selbst neu zu erfinden und zu entwickeln ist kontraproduktiv und mündet häufig in einem Kompromiss für den Kunden. Genau das vermeiden wir hier bei Ethernet-APL. Der Kunde bekommt quasi das Beste aus beiden Welten, der explosionsgeschützten Hardware und der hoch funktionellen Software. Nicht zu vergessen, Beratung und Support sind damit natürlich auch optimal für die jeweilige Aufgabenstellung verfügbar.
Die Zeit ist reif für eine moderne Ethernet-Infrastruktur. Es gibt keinen Grund, weiter mit konventioneller Technik zu arbeiten.
Wann werden erste gemeinsame Lösungen verfügbar sein?
André Fritsch: Das ist natürlich zum jetzigen Zeitpunkt noch sehr schwer zu beantworten. Bei einer neuen Technologie ergeben sich neue Herausforderungen und Unwägbarkeiten. So kann heute noch niemand mit Gewissheit sagen, wie gut die Produkte unterschiedlicher Hersteller miteinander auch unter Extrembedingungen funktionieren. Daher werden wir im Ethernet-APL Team sehr ausführlich testen und gemeinsame Interoperabilitätstests durchführen. Auch dafür haben wir mit Softing einen sehr kompetenten Partner an unserer Seite. Mit den geplanten Produkten und Lösungen adressieren beide Unternehmen ihre Kernmärkte. So wird R. STAHL z.B. speziell den Zone 1-Markt bedienen, da hier neben den Ethernet-APL Komponenten insbesondere die geeignete Feldinstallation für die Zone 1 gefordert ist. Mit diesen Zone 1-Systemlösungen konnten wir u.a. mit unseren Remote I/O-Systemen über die letzten 35 Jahre enorm viel Erfahrung sammeln, die jetzt dem Anwender bei Ethernet-APL zugutekommt.
Thomas Rummel: Softing ist seit Jahrzenten mit Ethernet Gateway Lösungen für die Feldbusse der Prozessautomatisierung auf dem Markt. Diese sind normalerweise in der Ex-Zone 2 installiert. Auch bei unseren APL Switch Produkten werden wir uns auf Installationen in der Ex-Zone 2 oder im nicht-explosionsgefährdeten Bereich fokussieren. Somit haben wir ebenfalls beim Produktangebot durch die Zusammenarbeit eine hervorragende Ergänzung.
André Fritsch: Ich denke, dass auf der ACHEMA 2022 Interessantes von beiden Unternehmen zu sehen sein wird.
Thomas Rummel: Ja, auf der ACHEMA 2022 werden wir neben den APL Switches auch das commModule APL für die einfache Realisierung von APL in Feldgeräten präsentieren.
Welcher Aufwand erwartet Anwender bei der Umstellung der bestehenden Infrastruktur, mit z.B. Hart oder FF, auf Ethernet-APL-Technologie?
André Fritsch: Ziel der Ethernet-APL Arbeitsgruppe war und ist es, diesen Umstieg für den Anwender so einfach wie möglich zu gestalten. So haben wir z.B. großen Wert darauf gelegt, dass die bei FF H1 und PROFIBUS PA häufig eingesetzten Typ A Kabel auch mit Ethernet-APL weiter verwendbar sind. Selbst qualitativ weniger hochwertige Kabel, die evtl. bei klassischen 4...20 mA und HART Installationen verwendet wurden, sind mit Einschränkungen verwendbar. Dazu wurden verschiedene Kabel-Kategorien spezifiziert, mit denen auch Bestandsanlagen ohne Änderung der Verkabelung modernisiert werden können. Ein weiterer Vorteil der Ethernet Technologie ist, dass ganz unterschiedliche Systeme in einem Netzwerk miteinander funktionieren. So kann man z.B. einen Anlagenteil mit Ethernet-APL Feldgeräten bauen, während ein anderer Anlagenteil noch konventionelle Feldgeräte nutzt und diese über Ethernet-fähige Remote I/O-Systeme dann in den gemeinsamen Ethernet-Backbone bringt.
Das machen wir bereits heute ohne Ethernet-APL. Unser IS1+ Remote I/O für die Zone 1 sammelt alle Feldgerätedaten inkl. HART ein und kommuniziert beispielsweise über einen PROFINET S2 Ring mit dem Leitsystem.
Thomas Rummel: Und auch an die 2-Draht Feldbusse wird gedacht. Um die einfache Umstellung und den frühen Einsatz von Ethernet-APL zu ermöglichen, beabsichtigen wir Funktionalitäten unserer existierenden Produkte wie dem pnGate PA in die APL Switches integrieren. Damit würde eine schrittweise Umstellung der Feldgeräte in den Anlagen von PROFIBUS PA auf PROFINET möglich.
Der Softing-Geschäftsbereich IT Networks ist Mitglied im SPE Partner Network. SPE ist das APL-Pendant im Bereich der Fabrikautomation. Inwieweit ist das Zusammenspiel beider Zwei-Draht-Ethernet-Technologien in welchen Applikationen sinnvoll und möglich?
Thomas Rummel: Ethernet-APL basiert auf dem IEEE SPE Standard 10BASE-T1L und realisiert zusätzlich eine eigene, Ex-fähige Stromversorgung der Switches und Feldgeräte. Deswegen sind Switches und Feldgeräte spezifisch für Ethernet-APL und können nicht in Standard SPE Umgebungen genutzt werden. Das Zusammenspiel von Ethernet-APL und Standard SPE erfolgt über eigene Switches die über Standard Ethernet (100/1000BASE-TX) in einem Ring oder Stern verschaltet sind. Dies ist sehr sinnvoll für hybride Anwendungen in denen Steuerungsaufgaben der Fabrik- und Prozessautomatisierung zusammenkommen. Unser Geschäftsbereich IT Networks arbeitet neben dem Engagement in dem SPE Partner Netzwerk auch weltweit in Normungsgremien an Testlösungen für Single Pair Verkabelungen.
Ethernet-APL wird die industrielle Kommunikation in der Prozessindustrie revolutionieren.
Die Vergangenheit hat gezeigt: Neue Kommunikationstechnologien benötigen in der Regel rund 15 Jahre, bis sie sich etabliert haben. Bis wann rechnen Sie mit einem Ecosystem an APL-Produkten und dem breiten Einsatz der Technologie im Prozessumfeld?
Thomas Rummel: Ich gehe davon aus, dass bereits in 5 Jahren das Ecosystem für den breiten Einsatz von Ethernet-APL vorhanden sein wird. Die Installationsansätze von Ethernet-APL bieten den Vorteil, dass die Controller mit ihren bereits existierenden Ethernet Anschaltungen und Kommunikationsprotokollen arbeiten können. Nur für die Switch-Infrastruktur und die Feldgeräte werden neue Produkte für die Unterstützung von Ethernet-APL benötigt.
Softing Industrial wird auch die Verfügbarkeit von Ethernet-APL Geräten durch Technologie Integrationsprodukte wie das commModule APL unterstützen, welches die Erstellung von Ethernet-APL Feldgeräten sehr vereinfachen wird.
André Fritsch: Vielleicht geht das alles sogar schneller als wir es uns heute denken. Die Zeit ist reif für eine moderne Ethernet-Infrastruktur. Unser Verkauf an Ethernet-fähigen Remote I/Os ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. In Verbindung mit Ethernet-APL und den dann verfügbaren intelligenten Feldgeräten sowie den neuen Lösungen zur Integration in Leitsystemen und Plant Asset Management Tools gibt es eigentlich keinen Grund, weiter mit konventioneller Technik zu arbeiten.
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