Wenn es um eine durchgängige Kommunikation geht, bietet sich Ethernet an. Doch das klassische Ethernet erfüllt nicht die Anforderungen der Prozessindustrie. Deshalb wurde ein offener Standard auf Basis einer neuen physikalischen Ethernet-Schicht entwickelt, um Ethernet für den Einsatz im rauen Alltag der Prozessindustrie tauglich zu machen: Ethernet-APL. André Fritsch ist maßgeblich daran beteiligt und äußert sich im Interview.
Herr Fritsch, welche Motivation steckt hinter der Entwicklung von Ethernet-APL?
André Fritsch: Ethernet-APL ist die Umsetzung von einem 2-Draht Ethernet für die Belange der Prozessautomatisierung. Der Drang nach 2-Draht Ethernet kommt ursprünglich u.a. aus der Automobilindustrie. Hierfür wurde ein 2-Draht Ethernet spezifiziert, welches die Belange der Prozessindustrie bereits zu 80 % abdeckt. Daraufhin hat man diese Technologie weiterentwickelt und um die speziellen Anforderungen der Prozessautomatisierung ergänzt. Das sind insbesondere die Umsetzung des Explosionsschutzes bis in Zone 0, eine Anpassung der Installationstechnik, um den rauen Einsatzbedingungen gerecht zu werden, ausreichend Leistung, um ca. 50 Feldgeräte mit Energie zu versorgen sowie die Überbrückung großer Distanzen von bis zu 1000 Metern.
Welche Vorteile hat Ethernet-APL?
André Fritsch: Die neue Technologie ist für den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen konzipiert und Feldgeräte können mit der in der Prozessindustrie bevorzugten Zündschutzart Eigensicherheit betrieben werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass man auf IEEE Ethernet aufbaut. Das ist ein internationaler Standard, welcher von entsprechenden Gremien und Benutzergruppen permanent weiterentwickelt wird. Ebenso wird eine einfache Integration ermöglicht – sowohl innerhalb der Anlage als auch zwischen den Geräten.
Hinzu kommt, dass Sie mit Ethernet-APL eine Strecke von 1 Kilometer mit einer vergleichsweise hohen Datenübertragungsrate überbrücken können – ein Quantensprung zu dem, was man bisher hatte. Dadurch erweitert sich auch der Einsatzbereich hin zu mehr und besseren Diagnosen.
Können Sie diese konkretisieren?
André Fritsch: Mit der klassischen 4…20 mA Installation bekommt man maximal zwei Diagnosemeldungen: entweder es funktioniert alles oder es stimmt etwas nicht. Über Ethernet-APL erfährt man jetzt, was genau und warum etwas nicht läuft – bis hin zu Empfehlungen der Fehlerbehebung. Neben den verbesserten Auswertemöglichkeiten können auch deutlich mehr Ferndiagnosen gemacht werden. Damit lässt sich Ihre Anlage deutlich kosteneffektiver betreiben.
Weiter stehen die Daten immer an der richtigen Stelle zur Verfügung: etwa auf einem Tablet im Feld, verbunden mit dem Feldgerätenetzwerk. Der nahtlose Datenaustausch erhöht die Konsistenz dieser Daten. Mit Ethernet- APL wird ein durchgängiger Datenaustausch zwischen Projektierungs- Leit- und Asset- Management-Systemen möglich.
Darüber hinaus liefert der schnelle und einfache Datenzugriff tiefere Einblicke in die Prozesse – und bietet damit die Chance für Prozessoptimierungen, beispielsweise durch intelligentere Datenanalysen. Zudem sind neue Instandhaltungskonzepte möglich, weil die Feldgeräte unter anderem einen Wartungsbedarf einfacher und schneller selbständig melden können.
Ethernet-APL macht Prozesse kosteneffektiver, einfacher, sicherer und vermeidet Dateninkonsistenzen.
Prozessautomatisierer gelten als sehr konservativ. Wie wollen Sie diese dennoch von Ethernet-APL überzeugen?
André Fritsch: Die bisherigen Installationen in der Prozessindustrie können problemlos weitergenutzt werden. Sie können aber auf Basis eines zweiten Kanals das Monitoring und die Diagnosen aufbauen, um entsprechende Erfahrungen zu sammeln und sich von der neuen Technologie überzeugen lassen. Die Vorteile und Möglichkeiten der neuen Technologie werden sicher auch bald die eher konservativ eingestellten Betreiber überzeugen.
Das Ethernet-APL Projekt gibt es bereits seit 2011. Warum nimmt es erst in den letzten Monaten so richtig Fahrt auf?
André Fritsch: Ethernet wird schon seit Längerem in der Prozessindustrie verwendet und auch Lösungen für explosionsgefährdete Bereiche gibt es seit vielen Jahren – vorwiegend bei Neuanlagen. Mit einer Ethernet Infrastruktur alleine lässt sich aber noch keine digitale Anlage bauen. Hier erfordert es u.a. geeignete Feldgeräte und geeignete Kommunikationsprotokolle. Beim Ethernet-APL Projekt ist es zum ersten Mal gelungen, sowohl die Hersteller als auch die Standardisierungsorganisationen zusammen zu bringen. Das hat eine starke Signalwirkung, so dass sich Anwender jetzt ernsthafte Gedanken machen, wie diese Technologie eingesetzt werden kann. Und damit entsteht natürlich ein gewisser Druck auf das Ethernet-APL Projektteam, die Spezifikationen fertig zu stellen und dann für die Hersteller entsprechende Produkte zur Marktreife zu bringen. Daher entsteht der Eindruck, dass das Projekt erst jetzt Fahrt aufnimmt. Dabei ist das Team schon von Anfang an mit Hochdruck dabei. Sonst wären wir hier noch lange nicht so weit.
Gibt es technologische Knackpunkte für Ethernet-APL?
André Fritsch: Der Hauptknackpunkt sind die Verkabelungen. Diese sind im Rahmen von Ethernet-APL definiert worden. Für die Überbrückung von Distanzen von 1000 Metern mit einem 10 MBit/s Netzwerk müssen nämlich entsprechend hochwertige Kabel eingesetzt werden. Ein Ziel bei der Spezifikation war auch, dass die bei den Feldbussen verwendeten Typ A Kabel weiter einsetzbar sind, da es bei bestehenden Anlagen schwierig werden kann, diese auszutauschen. Damit in Verbindung steht die korrekte Planung und Installation von Ethernet-APL Segmenten. Auch wenn dieses nicht komplizierter als z.B. eine klassische Feldbusinstallation ist, war es ein wichtiges Ziel des Projektteams, schon von Anfang an entsprechende Unterstützung für Planer, Integratoren und Installateure anzubieten. Hierfür haben wir zeitgleich mit den technischen Spezifikationen einen umfangreichen Engineering Guide erstellt, der neben Planungs- und Verkabelungsaspekten auch den Explosionsschutz abdeckt.
Welche Rolle hat R. STAHL im Ethernet-APL Projekt?
André Fritsch: Für uns ist natürlich das Thema Explosionsschutz sehr wichtig. Das heißt: wir bringen in den technischen Spezifikationsarbeiten unsere Erfahrungen ein und achten darauf, dass der Anwendernutzen und die Praxistauglichkeit im Vordergrund der Entwicklungen steht. Auf IEC-Ebene waren wir bei der neuen Ex i-Spezifikation, der IEC TS 60069-47 „Equipment protection by 2-wire intrinsically safe ethernet concept (2-WISE)“ aktiv. Und für den o.g. Engineering Guide haben wir maßgebliche Inhalte zu den Explosionsschutz-Themen beigesteuert. Zudem ist es unsere Aufgabe, die Produkte, welche für die Installationstechnik im Feld benötigt werden – beispielsweise für die Zone 1 geeignete Ethernet-APL Fieldswitches und Power Switches – zu entwickeln.
Erste Ethernet-APL Prototypen sind bereits entwickelt worden. Wie geht es jetzt weiter?
André Fritsch: Es gibt entsprechende Tests mit den Prototypen der Feldgerätehersteller und auch bei Betreibern. Die dabei gesammelten Erfahrungen werden zurück in die Entwicklung gespielt, um die Produkte weiter zu optimieren. Ebenso machen wir aktuell ausführliche Performance- und Interoperablitätstests, um am Ende auch eine kompatible Technologie hervorragender Qualität zur Verfügung zu stellen. Diese Geräte werden dann auch für die geplanten Conformance Tests bei der FieldComm Group verwendet. Bisher sind unsere Erfahrungen und auch das Feedback sehr positiv. Deshalb gehe ich davon aus, dass es 2022 erste Produkte geben wird und ab 2023 entsprechende Anlagen mit Ethernet-APL ausgestattet werden können.
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