Mit Remote I/O ins digitale Zeitalter

Die Digitalisierung ist in der Prozessindustrie angekommen – möchte man zumindest glauben, wenn man die Veröffentlichungen, Werbebotschaften und Messeauftritte der letzten Monate betrachtet.  Selten gab es in den letzten Jahren oder gar Jahrzenten so viele neue technische Trends wie aktuell. Kein Wunder, dass hier manch einer den Überblick verliert und sich gar in den diversen Akronymen verirrt: APL, OPC, NOA, FDI, MTP – um nur einige zu nennen. Und letztendlich stellt sich dann die Frage, ist das nur bei einer Neuanlage sinnvoll einsetzbar oder kann die Digitalisierung nicht auch schon mit einer Bestandsanlage starten? Muss ich darauf warten, dass neue Technologien wie z.B. Ethernet-APL marktreif werden und ausreichend Geräte zur Verfügung stehen? Genau hier setzt die Remote I/O-Technik an und bietet teils bewährte aber auch ganz neue Ansätze, um heute schon in die Modernisierung von Anlage einzusteigen, ohne dass man sich in die digitale Sackgasse bewegt.

Remote I/O – Stand der Technik

Remote I/O ist eine in der Praxis bewährte Lösung und hervorragend geeignet, die installierte Basis der sogenannten klassischen Feldgeräte an Ethernet-Netzwerke anzuschließen. Mit Remote I/O-Systemen arbeiten Systemintegratoren und Betreiber bereits seit Ende der 1980er Jahre. Die Grundidee ist unverändert: die Ein-/Ausgangsebene der SPSen und Leitsysteme wird von der Warte raus ins Feld verlagert und eliminiert damit die individuellen Verkabelungen zu bzw. von den Sensoren und Aktoren. Bei Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen entfallen auch die Ex i-Trennstufen samt Schaltschränken, denn die Ex i-Trennung ist in den Remote I/O-Modulen bereits integriert. So ergeben sich in Summe Einsparungen von über 25 %, je nach Anlagengröße.

Natürlich sind moderne Remote I/O-Systeme im Jahr 2023 den Produkten aus der Anfangszeit weit überlegen und mittlerweile auch sehr viel verbreiteter. Neben den oben genannten Kosteneinsparungen bieten sich moderne Remote I/O-Systeme für die Digitalisierung von Bestandsanlagen mit klassischer 4…20 mA Technik an. Eine zunehmend wachsende Anzahl Remote I/O-Hersteller hat bereits Lösungen zur Anbindung an Ethernet-Netzwerke mit PROFINET-, EtherNet/IP- oder Modbus TCP-Kommunikation im Programm. Die Konnektivität dieser Remote I/O ist flexibel: entweder mit kostengünstigen CAT-Kabeln für eher begrenzte Entfernungen oder mit Lichtwellenleitern für große Entfernungen und Umgebungen mit potenziell starken Störquellen und anderen elektromagnetischen Einflüssen. Alle typischen E/A-Signale wie 4...20 mA mit HART und einfache binäre Geräte wie Kontakte, Näherungsschalter und Magnetventile werden unterstützt.

Remote I/O-Lösungen zur Installation in explosionsgefährdeten Bereichen der Zone 2 und auch der Zone 1 sind von verschiedenen Anbietern erhältlich. Die Feldgeräte-Anbindung ist hierbei häufig in der Zündschutzart "Eigensicherheit Ex i" ausgeführt, was den Einsatz der Technologie sehr flexibel für Installationen sowie Wartungs- und Modernisierungsarbeiten vor Ort macht. Die Kommunikation über Ethernet wird beim R. STAHL Remote I/O IS1+ für Zone 1 über eigensichere Netzwerke und Kupferkabel geführt. Hier kommt (ähnlich wie bei Ethernet-APL) eine ebenfalls neue Ex i-Lösung zum Einsatz: 100BASE-TX-IS ist ein eigensicheres 4-Draht Ethernet welches mit 100 MBit/s über 100 m Kabel läuft. Optional können solche Netzwerke auch über optische Kabel geführt werden. R. STAHL nutzt hierfür bereits seit über 10 Jahren die optisch inhärente Sicherheit „op is“. Damit ist Remote I/O bestens gerüstet, um die klassischen Prozessanlagen in das Zeitalter der Digitalisierung zu überführen.

Neues vom Remote I/O

Die Remote I/O-Technologie wird beständig weiterentwickelt, um aktuelle Anforderungen der Betreiber zu erfüllen und damit neue Digitalisierungskonzepte umzusetzen: zum Beispiel auf Basis des weit verbreiteten HART-Protokolls. Remote I/O-Systeme können die HART-Informationen von 4...20-mA-Feldgeräten mittlerweile über Ethernet mit dem HART-IP-Protokoll übertragen, um sie einfach in entsprechende Plant Asset-Management-Systeme zu integrieren. In den I/O-Modulen ist sowohl die HART-Multiplexer-Funktion als auch die Ex i-Trennung enthalten. Die Kommunikation der HART Informationen erfolgt dann über das gleiche Ethernet-Netzwerk, in dem auch die Prozesskommunikation läuft. Eine separate Verkabelung ist nicht erforderlich. Die Umsetzung des HART-Protokolls in HART-IP erfolgt beim IS1+ über einen Treiber der Firma Softing, den SmartLink SW-HAT. So lassen sich auch bestehende IS1+ Installationen ohne zusätzliche Hardware auf HART-IP aufrüsten.

Im Gegensatz zu HART ist OPC UA eher ein Newcomer in der Prozessautomatisierung. OPC UA eignet sich sehr gut für neue Konzepte wie die NAMUR Open Architecture (NOA). Der sogenannte zweite Kanal über OPC UA ermöglicht den Zugriff auf Überwachungs- und Optimierungsdaten (Monitoring + Optimization, M+O). OPC UA ist ein "PC-freundlicher" Kommunikationsstandard, der die einfache Integration von Diagnosedaten der Remote I/Os in PC-Netzwerke, Daten- oder Aggregations-Server und Cloud-Systeme ermöglicht. Das zugehörige Datenmodell „PA-DIM (Process Automation Device Information Model)“ wird in Zukunft ebenfalls von Remote I/O unterstützt werden.

Mit FDI (Field Device Integration) wurde in den letzten Jahren die universelle Integrationslösung für alle Geräte in der Prozessautomatisierung geschaffen. Viele Feldgeräte und einige FDI-Hosts sind bereits verfügbar und auch Remote I/O wird in Kürze FDI unterstützen. Ende 2021 wurde die „FDI for RIO“-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Diese erarbeitet derzeit die Spezifikationen, um über Remote I/O und PROFINET HART-Geräte in FDI Hosts zu integrieren – über die sogenannte "nested communication".  Auch die Abbildung der Projektierung sowie Status- und Diagnoseinformationen der Remote I/O-Systeme werden damit ermöglicht. Erste Prototypen haben die neuen Möglichkeiten in Verbindung mit PROFINET bereits erfolgreich demonstriert. Mit der Verfügbarkeit von Produkten wird Ende 2023 gerechnet.

Bereits Ende 2022 wurde das Remote I/O PA-Profil für PROFINET mit dem Titel „Remote I/O for Process Automation (RIO for PA)“ veröffentlicht, das die Integration von Remote I/O-Systemen unterschiedlicher Hersteller in Leitsysteme über PROFINET Kommunikation ebenso einfach macht, wie die Integration von Feldgeräten mit PA-Profil. Durch dieses RIO for PA-Profil werden insbesondere Diagnose- und Statusinformationen standardisiert, so dass unterschiedliche Systeme nahezu identisch projektiert und eingebunden werden können. Für den Planer und Anwender ergeben sich damit deutliche Vereinfachungen beim Handling unterschiedlicher Remote I/O-Systeme. Es wird allerdings noch dauern, bis dieses RIO for PA Profil sowohl von den Remote I/Os als auch den Host-Herstellern ausreichend unterstützt wird. Die Profil-Spezifikation steht auf der PI-Website zum Download bereit.

Da kommt was auf uns zu – Remote I/O und Ethernet-APL

Remote I/O und Ethernet – eine ideale Kombination, um auch die „klassisch“ installierte Basis mit analogen Feldgeräten in eine Ethernet-basierende, digitale Anlagenautomatisierung einzubinden. Hierbei ergänzen sich Ethernet-APL und Remote I/O hervorragend. Ethernet-APL bietet sich natürlich dann an, wenn bereits digital kommunizierende Feldgeräte mit Ethernet-APL zum Einsatz kommen. Aber auch die bestehende Generation der PROFIBUS PA Geräte kann mit den neuen APL Field Switches von R. STAHL in PROFINET Netzwerke integriert werden. Hier arbeitet der Field Switch als sogenannter PA-Proxy und „übersetzt“ die PA-Informationen in PROFINET.

Bleibt die große Anzahl der klassischen Feldgeräte mit 4…20 mA, HART sowie einfache binäre Sensoren und Aktoren. Auch wenn in den kommenden Jahren vermehrt Geräte mit APL-Schnittstelle auf den Markt kommen werden, ist diese für solch einfache Geräte wie Kontakte, Näherungssensoren oder Magnetventile häufig nicht ökonomisch sinnvoll einsetzbar. Und auch die Umsetzung von APL für alle erforderlichen Varianten der 4…20 mA Generation wird seine Zeit benötigen. Dann schlägt wieder die Stunde der Remote I/O, die einfach zusammen mit den Ethernet-APL Field Switches in ein übergeordnetes Steuerungsnetzwerk über z.B. PROFINET eingebunden werden.  Damit ist auch die letzte Frage leicht zu beantworten, „Remote I/O oder Ethernet-APL?“ – in der Kombination liegt die beste Lösung.

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