Wasserstoff-Boom: Gefahren minimieren, Sicherheit maximieren

Im Zuge der globalen Bestrebungen, die Nutzung fossiler Rohstoffe mehr und mehr einzuschränken, gewinnt der Wasserstoff als Energieträger und als Ausgangsprodukt für synthetische Kraftstoffe und Chemikalien zunehmend an Bedeutung. Wasserstoff hat eine Reihe von Eigenschaften, die ihn für diese Rollen als sehr geeignet erscheinen lassen. Allerdings gilt auch hier die alte Weisheit: „There’s no such thing as a free lunch“. Obwohl Wasserstoff das am häufigsten vorkommende Element im Universum ist, liegt es auf der Erde fast vollständig in gebundener Form wie zum Beispiel im Wasser (H2O) vor. Die Extraktion aus diesen Verbindungen (z. B. durch Elektrolyse) ist mit Energieverlusten verbunden. Diese führen dazu, dass der Gesamtwirkungsgrad der Wasserstoff-Technologien in absehbarer Zeit nicht über 30% liegen werden.

Herausforderungen im Umgang mit Wasserstoff

Aus der sicherheitstechnischen Perspektive gesehen, ragt die mit dem Wasserstoff verbundene Explosionsgefahr heraus. Seine extrem niedrige Zündenergie sowie die auf die sehr hohe Verbrennungsgeschwindigkeit zurückzuführende Neigung zum Umschlagen aus der Deflagration in die wesentlich gefährlichere und zerstörerische Detonation, seien hier stellvertretend genannt. Weitere Gefahrenquellen stellen die speziellen physikalischen Zustände dar, in denen der Wasserstoff aufgrund seiner geringen volumetrischen Energiedichte transportiert und gelagert werden muss. Dies geschieht überwiegend als stark komprimiertes Gas mit Drücken bis zu 1000 Bar oder als tiefkalte Flüssigkeit mit Temperaturen unter -252 °C. Beide Zustände – Hochdruck und sehr tiefe Kälte – bergen potenzielle Risiken für die Personen, die mit dem Wasserstoff umgehen müssen. Betrachtet man zu den genannten Gefährdungen auch noch die Schwierigkeit, Wasserstoff sicher und langfristig in den Behältern wie Tanks, Rohrleitungen oder Reaktoren einzuschließen und das Thema Materialversprödung, dann wird klar, dass man insgesamt mit sehr viel Respekt mit dem Shooting Star unter den Industrie-Gasen umgehen muss.

Nun ist die Verwendung von Wasserstoff in der Industrie keinesfalls neu. Gegenwärtig werden global mehr als 80 Millionen Tonnen davon produziert und überwiegend in Raffinerien und für die Düngemittel (Ammoniak)- und Methanol-Erzeugung verwendet. Es gibt keine Informationen über Häufungen von Explosionen oder anderen Unfall-Ereignissen in diesen Anlagen. Die Konzepte für den sicheren Umgang mit Wasserstoff in diesen Anlagen scheinen somit gut zu funktionieren. Jetzt kommen aber in Zukunft zahlreiche neue Anwendungen von Wasserstoff hinzu. Bis 2050 rechnet man mit einer jährlichen Wasserstoffproduktion von 500 Millionen Tonnen! Und in der Mehrzahl der Fälle werden diese neuen Anwendungen nicht mehr automatisch in gut von der Öffentlichkeit abgetrennten Prozessanlagen unter Aufsicht und Ausführung von speziell ausgebildetem Personal stattfinden, sondern in der Nähe von Laien in der Öffentlichkeit.

Man muss sich nur einmal die neuen Anwendungsfälle vor Augen halten: wasserstoffgetriebene Schiffe, Züge, Kraftfahrzeuge, Gabelstapler; Brennstoffzellen zur Versorgung von Gebäuden; Wasserstoffverwendung zur Direktreduktion von Eisenerz in Stahlwerken oder bei der Zementherstellung etc. Alles Bereiche, die in der Vergangenheit sehr wenig oder gar nichts mit den Wasserstoff-spezifischen Gefährdungen zu tun hatten. Hier gilt es also, aufbauend auf den bewährten Sicherheitskonzepten der chemischen und petrochemischen Industrie, erweiterte und modifizierte Sicherheitsstandards zu entwickeln und diese einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Wasserstoff: Auf dem Weg zur sicheren Energiequelle

Die NASA (National Aeronautics and Space Administration) ist eine Organisation, die seit vielen Jahrzehnten breite Erfahrungen im Umgang mit Wasserstoff und den damit verbundenen Gefahren sammeln konnte. Viele werden sich noch an das tragische Schicksal der Besatzung des Space Shuttle Challenger erinnern, die 1986 durch die  Explosion der Wasserstofftanks ums Leben kam. In der technischen Spezifikation ISO/TR 15916 wird ausführlich auf einen Bericht der NASA (Ordin, P.M.: Review of Hydrogen accidents and incidents in NASA Operation, 1974) eingegangen, indem die Ursachen von Unglücken im Umgang mit Wasserstoff systematisch untersucht und ausgewertet wurden. Dabei kam heraus, dass über 85 % aller Unfälle auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen waren. Dies konnten falsch verstandene Verfahrensanweisungen, Bedienfehler, Designfehler oder Planungsfehler sein. Andere Studien bestätigen diese Tendenz. Die wichtigsten Schlussfolgerungen aus diesen Untersuchungen waren:

  • Die Anzahl potenzieller menschlicher Fehlhandlungen im Umgang mit Wasserstoff muss minimiert werden und
  • die Sicherheitssysteme von Wasserstofftechnologien müssen so robust gestaltet werden, dass sie auch im Fall menschlicher Fehler zuverlässig funktionieren.

Die zweite Forderung wird im Rahmen der internationalen Produkt- und Systemnormung bei ISO und IEC umgesetzt. Stellvertretend seien die ISO 22734 für Elektrolyseure, die ISO 19880 für Tankstellen und die IEC 62282 für Brennstoffzellen genannt. Hier kommt es darauf an, diese Standards schnell und ohne wesentliche Veränderungen auch in die jeweilige nationale und europäische Normung zu überführen. Wie gut dies funktionieren kann und wie positiv sich das für das Sicherheitsniveau auswirkt, kann man am Beispiel des allgemeinen Explosionsschutzes erkennen.

Wesentlich für die erste Forderung ist die richtige Information aller an den Wasserstofftechnologien beteiligten Personen. Durch gezielte Trainings und Beratung muss ein adäquates Gefährdungs-bewusstsein für den Umgang mit Wasserstoff geschaffen werden und es müssen Kompetenzen für die Auswahl und Umsetzung geeigneter Methoden zur Reduzierung der spezifischen Risiken vermittelt werden. Dafür bieten sich zum Beispiel spezielle Studiengänge an Universitäten oder Schulungen durch Recognized Training Providers  (RTP) unter dem IECEx System an.

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